Pessimismus pur – jetzt kaufen?
So nutzt Du Stimmungs-Indikatoren richtig!

(Lars Erichsen) An den US-Börsen haben wir die kuriose Situation, dass die großen Indizes wie Nasdaq-100 und S&P 500 neue Rekorde feiern, während die Anleger eigentlich skeptisch sind. Auf LinkedIn habe ich kürzlich das bärische Sentiment amerikanischer Privatanleger in einem Beitrag thematisiert. Der AAII Investor Sentiment Survey wird in der siebten Woche in Folge von den Bären dominiert, laut Bloomberg gab es das in den letzten 25 Jahren nie. Die Grafik möchte ich Dir nicht vorenthalten:
Doch wie kann man sich diesen Zusammenhang erklären? Die Umfrage gilt als Contrarian Indicator (Kontraindikator) – das heißt: Wenn das Sentiment extrem optimistisch („bullish“) ist, könnte das ein Warnsignal sein, weil der Markt schon sehr positiv ist und dementsprechend die Optimisten schon investiert sind. Wenn es stark pessimistisch („bearish“) ist, könnte dies auf eine Übertreibung in der Negativstimmung hindeuten, und ein Wendepunkt nach oben könnte möglich sein, weil die Pessimisten schon verkauft haben. Wichtig zu wissen: Die AAII-Umfrage bietet keine präzise Vorhersage, sondern eher ein Stimmungsbild, das zusammen mit anderen Indikatoren interpretiert werden sollte.
Die deutschen Stimmungs-Indikatoren
Auch hierzulande gibt es eine ganze Reihe von umfragebasierten Indikatoren, die ich in der Tabelle unten hinsichtlich ihrer Vergleichbarkeit zur AAII-Umfrage aufgelistet habe. Am nähesten kommt der sentix Sentiment Index, auch der von der Börse Frankfurt erhobene Stimmungsindex ist relativ ähnlich. Eine andere Methodik nutzt das Euwax Sentiment, das nicht auf Umfragen basiert, sondern auf Handelsentscheidungen von Privatanlegern. Indirekt vergleichbar sind bekannte Konjunktur-Indikatoren wie ZEW und ifo, die auf Umfragen aufbauen, aber nicht Anlagestimmungen oder -erwartungen messen, sondern Unternehmen und Konjunktur im Fokus haben.
Der Verhaltens-Ökonom Joachim Goldberg beschäftigt sich seit über drei Jahrzehnten mit den psychologischen Einflüssen auf die Finanz-Märkte und erhebt unter anderem den Sentiment-Index der Börse Frankfurt. Dessen Funktionsweise ähnelt dem zuvor beschriebenen AAII für die US-Märkte: Optimistische Anleger gehen tendenziell long, während Pessimisten eher short positioniert sind. Besonders die Veränderungen im Sentiment erlauben Rückschlüsse auf durchschnittliche Einstiegskurse und mögliche Schieflagen. Häufig erweist sich der Index dabei als Kontraindikator. Besonders aufschlussreich ist zudem die getrennte Betrachtung von Privatanlegern und institutionellen Investoren.
Nicht immer sind Privatanleger und Profis der gleichen Meinung, auch daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen. Privatanleger sind oftmals deutlich bullischer als die Institutionellen – in der Grafik oben ist allerdings gut zu sehen, dass es manchmal auch umgekehrt sein kann. Die Kommentare und detaillierten Einschätzungen von Joachim Goldberg zu den aktuellen Ergebnissen kannst Du auf der Seite der Frankfurter Börse nachlesen.
Nochmals zur Einordnung: Sentiment-Indikatoren sind keine präzisen Prognose-Instrumente, sondern entfalten ihre Aussagekraft vor allem in Extremsituationen: Wenn Anlegerstimmungen besonders optimistisch oder stark pessimistisch sind, können daraus wichtige Signale entstehen. In neutralen Phasen hingegen liefern sie meist nur begrenzte Hinweise. Ihre wahre Stärke liegt deshalb in der Kombination mit fundamentalen und technischen Analysen, wodurch sich ein robusteres Gesamtbild ergibt. Darüber hinaus lohnt sich der Blick über die Landesgrenzen hinaus – neben dem DAX-Sentiment-Index oder dem Euwax Sentiment für Deutschland liefern internationale Umfragen wie der AAII in den USA oder der europaweite Sentix Index wertvolle Vergleichsmaßstäbe und vertiefen das Verständnis für die Psychologie der Märkte.
Mein Fazit
Sentiment-Indikatoren wie der Sentiment-Index der Börse Frankfurt oder der AAII Survey in den USA sind wertvolle Werkzeuge, um die Psychologie der Märkte sichtbar zu machen. Sie liefern Hinweise auf mögliche Wendepunkte, entfalten ihre größte Aussagekraft aber vor allem in extremen Phasen. Richtig eingesetzt können sie Anlegern helfen, Herdenverhalten zu erkennen, Risiken frühzeitig wahrzunehmen und Chancen besser einzuschätzen.
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